Wie viel Regenwald wird für ein Kilogramm Fleisch abgeholzt?

In Brasilien werden grosse Flächen Regenwald gerodet, um Platz für Weiden oder Ackerfläche zu schaffen. Bezieht man also Rindfleisch aus Brasilien, muss man damit rechnen, dass dafür eine beachtliche Fläche Regenwald niedergebrannt und umgenutzt wurde. Wie gross die gerodete Fläche pro Fleischration ist, hängt stark vom Haltungssystem ab und ist daher nur schwer zu beziffern. Dabei ist es gefährlich, nur auf die Regenwälder zu fokussieren. Genauso betroffen sind wertvolle Savannenlandschaften, die ebenfalls zu Weiden umgewandelt werden. Gerade im Zuge des Regenwaldschutzes hat sich der Druck auf den Cerrado (Brasiliens Savannenlandschaft) erhöht. Vergleichbar mit dem Regenwald ist der Cerrado eine artenreiche und dem entsprechend wertvolle Landschaft, die Schutz bedarf.

Tiere und ihr Futter

Bezieht man das Fleisch aus der Schweiz, ist der Regenwald durch die Produktion von Importfutter bedroht. Wie gross die verwendete Menge Importsoja ist, hängt stark von der Futterzusammensetzung und letztlich vom Verdauungssystem des Nutztiers ab. Generell kann zwischen Kraft- und Raufutter unterschieden werden. Kraftfutter hat einen höheren Energie- und Proteingehalt und besteht vor allem aus Getreide. Im Gegensatz dazu ist Raufutter arm an Energie und Protein und besteht häufig aus Gras oder Heu. Rinder sind Grasfresser. Dem entsprechend würde die artgerechteste Fütterung nur aus Raufutter bestehen. Um das Wachstum zu steigern ist das Zufüttern mit Kraftfutter aber auch in der Schweiz gängige Praxis. Diesbezüglich sind Allesfresser, wie Schweine oder Hühner jedoch noch problematischer: Diese werden fast ausschliesslich mit Kraftfutter gefüttert. Kraftfutter besteht nicht nur aus Substanz, die sich auch für die menschliche Ernährung eignen würde. So landet beispielsweise auch Rapskuchen, ein Nebenprodukt der Ölproduktion in den Trögen der Schweizer Wiederkäuer. Da Rinder gut darin sind, Nebenprodukte zu verwerten, ist der Sojaanteil in ihrem Kraftfutter relativ klein. Laut WWF benötigt ein Kilogramm Rindfleisch 173 g Soja, während es beim Hühnerfleisch 575g und beim Schweinefleisch 263g sind[1]. Um 173g Soja zu produzieren, benötigen wir eine Fläche von 0.5 Quadratmeter eines Sojafeldes. Davon stammt rund die Hälfte aus Brasilien. Der Rest kommt aus Russland und Europa - Länder ohne Regenwald. Folglich sind es 0.25m2 ehemalige Regenwaldfläche, die wir für unser Kilo Rindfleisch benötigen. Damit ist noch nicht klar, wieviel Regenwald wir tatsächlich roden müssten. Vereinfacht man die Sojaproduktionsfläche Brasiliens zu einer zusammenhängenden Fläche, könnte man sowohl Soja aus der Kernregion, also von schon länger gerodeten Äckern beziehen oder aus den Randgebieten, die kürzlich für den Sojaanbau gerodet wurden. Dem entsprechend wäre die effektive Rodung 0 oder 100% der benötigten Fläche.

Sojaproduktion und Regenwaldzerstörung

Die Schweiz bezieht fast ausschliesslich Soja, das von Flächen stammt, die schon vor längerer Zeit, nicht später als 2008, gerodet wurden[2]. Damit wird der Druck auf den Regenwald aber nicht wirklich vermindert. Der Sojabedarf bleibt hoch und andere weniger wohlhabende Länder beziehen an unserer Stelle Soja aus den frisch gerodeten Randgebieten. Würden alle Länder nur noch zertifiziertes Soja beziehen, könnte die Abholzung möglicherweise gebremst werden. Somit ist das Zertifizieren von Soja ein Schritt in die richtige Richtung. Uns von der geteilten Schuld befreien, können wir allerdings nur bedingt. Vergangenes Jahr wuchs die brasilianische Fläche, auf der Soja angebaut wird um 3%. Würde jede theoretische Sojaparzelle gleichbehandelt werden, müsste für 3% der Sojafläche Vegetation, also Savanne oder Regenwald, in Acker umgewandelt werden. Wendet man das auf unser Rindfleisch-Beispiel an, müsste man für ein Kilo Schweizer Rindfleisch nur 75 cm2 Regenwald oder Savanne zerstören. Auch bei nicht-zertifiziertem Soja gibt es nur einen indirekten Zusammenhang zwischen Rodung und Sojaanbau. Das Verhältnis zwischen Sojaanbau und Regenwaldrodung ist kompliziert. Die Regenwaldabholzung ist eine Kombination von Sojaproduktion, anderen Kulturen und Weidefläche. Da die Sojaproduzenten unter globaler Beobachtung stehen, hüten sie sich davor, selbst Regenwald zu roden, sondern fungieren als Nachzügler auf Flächen, die beispielsweise für Weideland gerodet worden sind. Dadurch kommt es häufig vor, dass zwischen Rodung und Sojaanbau einige Jahre vergehen. Trotz der zeitlichen Verschiebung ist es offensichtlich, dass ein Zusammenhang zwischen Sojaanbau und Rodung besteht.

Austauschbare Flächen

Damit offenbart sich ein grundsätzliches Problem der Bilanzierung von Rodungsfläche pro Produktmenge: Ackerflächen können ausgetauscht oder verschoben werden. Ein boomendes Lebensmittel kann entweder selbst zur Verdrängung natürlicher Vegetation führen oder indirekt durch Verschiebung einer anderen Produktionsfläche; die Konsequenz ist im Grunde dieselbe. Dieses Prinzip gilt nicht nur in Brasilien, sondern auch global. Die verfügbare landwirtschaftliche Fläche ist begrenzt. Jede zusätzliche Fläche Ackerland, die die Menschheit benötigt, verdrängt natürliche Vegetation, sei es Regenwald, Savanne oder Moorlandschaft. Im Moment haben wir noch Wald zu Verfügung, allerdings nur, weil ein beachtlicher Teil der Welt die finanziellen Mittel noch nicht besitzt, unsere Essgewohnheiten zu übernehmen[3]. Würden alle Menschen so konsumieren, wie wir es tun, gäbe es längst keine Regenwälder mehr. Um unser Lebensmittelbedarf zu decken, benötigen wir fast das Doppelte der Schweizer Agrarfläche. Dieser Überbedarf muss durch ausländische Produktion gedeckt werden. Ein wichtiger Verursacher des hohen Flächenbedarfs ist die Nutztierhaltung und das dadurch benötigte Futter. Momentan importieren wir einen Grossteil des energiedichten Futtermittels. Würden wir das gesamte Futtermittel für unsere Nutztiere in der Schweiz produzieren, hätten wir keine Fläche für die Produktion menschlicher Nahrung mehr übrig [4]. Tatsächlich macht es aus topografischen Gründen Sinn, eine kleine Anzahl Rinder in der Schweiz zu halten. Sie ermöglichen es uns, Flächen zu bewirtschaften, die sich nicht für den Ackerbau eignen. Allerdings nur in sehr kleinem Stil. Pro Woche stünden jedem Schweizer nur 150 g Wiederkäuerfleisch (hauptsächlich Kuh- und Kalbfleisch) zu Verfügung. Dazu kämen pro Woche 1.4 l Trinkmilch, 60 g Butter, 250 g Käse, 200 g Joghurt und 80 g Rahm (je nach Verwendung der Milch). Neben den Kühen und Rindern könnten uns ein paar Schweine dabei helfen, unsere Nebenprodukte zu verwerten. In der Woche ergäbe das 120 g Schweinefleisch pro Person. Da Hühner sich weniger gut eignen, Nebenprodukte zu verwerten, lässt sich die Hühnerhaltung kaum mit Notwendigkeit begründen. Eine ressourcentechnisch sinnvolle Eierproduktion würde nur 5 Eier und ein paar Gramm Althennenfleisch pro Person und Jahr ergeben[5]. Sobald wir mehr als diese Mengen tierischer Produkte konsumieren, müssen wir damit rechnen, dass dafür natürliche Vegetation (darunter auch Regenwald) durch landwirtschaftliche Fläche ersetzt werden muss.

Text von Marius Dihr und David Neyer

[1] https://www.sojanetzwerk.ch/fileadmin/user_upload/soja-factsheet-de_180618_update.pdf

[2] https://www.coop.ch/de/unternehmen/medien/medienmitteilungen/2016/nachhaltige-soja-ist-in-der-schweiz-standard.html

[3] ourworldindata.org/grapher/dietary-land-use-vs-gdp-per-capita

[4] https://www.zeitpunkt.ch/fileadmin/download/ZP_103/103_39_Bilanztrick.pdf

[5] sentience-politics.org/de/weil-die-schweiz-ein-grasland-ist/

 

 

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